Touraine
Alltagstropfen mit Klasse
"Schande über jeden, der sie nicht bewundert: meine strahlende, meine schöne, meine kühne Touraine, deren sieben Täler fließen mit Wasser und Wein!", schrieb der 1799 in Tours geborene Schriftsteller Honoré de Balzac. Aber was wie eine handfeste Drohung klingt, erweist sich in Anbetracht der bukolischen Landschaft, der zahllosen Renaissance-Schlösser, der herausragenden kulinarischen Produkte und der breiten Palette an Weinen, die von charmanten Alltagstropfen mit unschlagbaren Preis-Genuss-Verhältnis bis hin zu Spitzenkreszenzen reicht, unverkennbar als heiße Luft. Denn wer sollte schon die unbestreitbare Schönheit der Touraine allen Ernstes nicht bewundern?
Um die namensstiftende Stadt Tours erstreckt sich die Touraine als eine der größten Loire-Appellationen auf einer Strecke von rund 100 Kilometern auf beiden Ufern entlang der Loire und ihrer Zuflüsse Cher, Indre und Viennes. Der äußerste Westen der Touraine, der an die Appellation Saumur grenzt, ist in klimatischer Hinsicht vorrangig atlantisch geprägt ist. Im Osten der Region, die bis nach Blois reicht, überwiegen die kontinentalen Einflüsse, die für größere Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sorgen.
Zwischen diesen beiden geographischen Polen werden auf unterschiedlichen Böden aus einem guten Dutzend Rebsorten Schaumweine, trockene und restsüße Weißweine, Rosés und Rote gekeltert. Das verbindende Glied dieser ganz unterschiedlichen Weine und Stile ist ihre gemeinhin frische Anmutung – ein unverkennbares Indiz dafür, dass die Weine aus einer klimatischen Grenzregion stammen, in der Qualitätsweinbau gerade noch möglich ist.
Chinon, Vouvray und Montlouis-sur-Loire – berühmte Enklaven in der Touraine
Die namhaftesten Enklaven innerhalb der Touraine sind zweifelsohne die Appellationen Chinon im äußersten Westen des Gebiets und Vouvray, gegenüber der Stadt Tours am rechten Loireufer. Beide Regionen verfügen über Tuffeau-Böden. Aber während die erstgenannte vor allem für ihre samtigen und eleganten Rotweine aus der Rebsorte Cabernet Franc berühmt ist, entstehen in Vouvray Weißweine aus der Rebsorte Chenin Blanc, die als Schaum- oder Stillwein, süß (moeulleux), halbtrocken (sec tendre) oder trocken (sec) ausgebaut werden und zu den lagerfähigsten Weißweinen Frankreichs gehören. Doch auf diese beiden Appellationen wird, wie auch auf die am linken Loireufer gelegene Appellation Montlouis-sur-Loire, an anderer Stelle ausführlicher eingegangen. Hier soll es vorrangig um die Weine gehen, die den Namen Touraine auch auf dem Etikett tragen.
Frische Weiße und fruchtige Rote – Weinbau mit Tradition
Auf über 5.000 Hektar produzieren heute rund 500 Winzer in knapp 140 Gemeinden Wein, der unter der Appellationsbezeichnung AOC Touraine vermarktet wird. In diesem Gebiet, das die UNESCO aufgrund seiner zahlreichen Schlösser zum Weltkulturerbe erklärt hat, hat der Weinbau eine lange Tradition. Dies belegt der Fund einer Weinpresse bei Cheillé, die aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. stammt.
In den folgenden Jahrhunderten kümmerten sich vor allem die Mönche der Abtei von Marmoutier, die im 4. Jahrhundert vom Heiligen Martin gegründet wurde, um den Weinbau in der Region. Der Legende nach soll hier der Rebschnitt erfunden worden sein, als der Esel des Heiligen Martin junge Rebstöck-Schösslinge abknabberte.
Eine wahre Blüte erreichte der Weinbau dann im 16. Jahrhundert durch die Präsenz des französischen Hofes in der Touraine. Damals wurden hier vor allem rote Rebsorten angebaut. Das änderte sich mit der Reblaus-Katastrophe, die Anfang des 19. Jahrhunderts die Rebgärten der Touraine verwüstete. Bei der Neubestockung der Weinberge setzten die Winzer vorrangig auf weiße Rebsorten.
Heutzutage sind ungefähr 60 Prozent des hier produzierten Weins weiß. Rund 20 Prozent sind Rotweine, gut 10 Prozent Schaumwein, der nach der méthode traditionelle hergestellt wird. Und der Rest sind Roséweine.
Die mit Abstand meistangebaute Rebsorte ist Sauvignon blanc, die sich auf über 40 Prozent der hiesigen Rebflächen findet. Knapp zehn Prozent der Rebfläche sind mit Chenin blanc bestockt und rund drei Prozent mit Chardonnay, der zumeist als Verschnittpartner für die hiesigen Schaumweine verwendet wird.
Bei den roten Rebsorten führt Gamay mit einem Rebflächenanteil von rund 20 Prozent vor Cabernet Franc mit ungefähr zehn Prozent. Erwähnenswert ist überdies noch die Rebsorte Côt, wie hier die Rebsorte Malbec genannt wird, mit rund acht Prozent Rebfläche. Sie ist verpflichtender Bestandteil der Weine, die als Touraine rouge verkauft werden. Zudem werden noch Pinot Noir, Pineau d’Aunis, Cabernet Sauvignon und Grolleau angebaut, deren Rebflächenanteil aber nur niedrige einstellige Prozentwerte beträgt und die zumeist als Verschnittpartner verwendet werden.
Diese Weine, die zumeist auf sandigen und kieseligen, gelegentlich lehmigen Böden vorrangig alluvialen Ursprungs wachsen, sind expressiv-aromatisch, erfrischend, leicht und bereiten vor allem in ihrer Jugend großen Trinkspaß. Ihr Alterungspotential ist zumeist auf wenige Jahre begrenzt. Dafür aber eignen sich diese Weine als fantastische Alltagstropfen mit Klasse, die Genuss zu äußerst moderaten Preisen versprechen.
Amboise und Azay-le-Rideau – die Subappellationen der Touraine
Das hier - jenseits der genannten Enklaven Vouvray, Montlouis-sur-Loire und Chinon – aber auch Weine mit mehr Finesse, Tiefe, Rückgrat und höherem Alterungspotential entstehen, zeigen die fünf Subappellationen der Touraine, die aufgrund der besonderen Qualität ihrer Weine einen eigenen Appellationsstatus zugesprochen bekommen haben. Hier liegen die zulässigen Ertragsmengen unter denen der AOC Touraine. Zudem sind die Vorschriften für den Ausbau strenger. Bei diesen Weinen aus Oisly, Amboise, Azay-le-Rideau, Mesland und Chennonceaux erscheint neben der Bezeichnung Touraine der Name der angeführten Gemeinden auf dem Etikett.
Die schwereren, lehmigen Perruches-Böden der knapp 200 Hektar Rebfläche umfassende Appellation Amboise, die an beiden Loireufern östlich an Vouvray und Montlouis-sur-Loire angrenzt, bieten sich insbesondere zur Produktion von Rotweinen an. Auf den von Kalk und Feuerstein dominierten Böden werden vorrangig Rotweine aus der Rebsorte Côt gekeltert, die ein Reifepotential von bis zu zehn Jahren haben. Je nach Ausbauart geraten diese Weine leichter oder schwerer bei stets seidigen Tanninen, angenehmer Frische und überzeugender Länge. Daneben wird eine kleinere Menge mineralischer Weißwein aus Chenin Blanc erzeugt, der zumeist auf den Bournaisperrucheux-genannten Böden wächst, die neben Kalk und Feuerstein einen höheren Sandanteil aus dem Miozän aufweisen.
Auf den rund 60 Hektar der Appellation Azay-le-Rideau, die sich über sechs Gemeinden auf beiden Ufern des Nebenflusses Indre, südwestlich von Tours, erstrecken, produzieren ein knappes Dutzend Winzer auf sandigen Kieselsteinböden zu gleichen Teilen frische Roséweine, die vorrangig aus Grolleau gekeltert werden und filigrane, mineralische, feste Weiße aus Chenin blanc, die mit floralen Noten nach Akazienblüte und Heckenrose verzaubern.