Saumur
Von Wein, Champignons und Rosen
Das Stundenbuch Très Riches Heures des Herzogs von Berry gehört zu den größten Meisterwerken der Buchmalerei und ist das wahrscheinlich berühmteste Manuskript des 15. Jahrhunderts. Auf dem Kalenderblatt zum Monat September sehen wir Bauern bei der Weinlese, die sich zwischen überraschend niedrig erzogenen Rebstöcken niederbeugen, um rote Trauben in ihren Bastkörben zu sammeln. Im Bildhintergrund ist das prächtige Schloss von Saumur zu sehen, das damals noch von einer Unzahl von Kaminen, Filialen und vergoldeten Lilien - dem Symbol der französischen Monarchie - bekrönt wurde. Und wenngleich der Zahn der Zeit die kunstvollen, leicht disneyesk anmutenden Schmuckelemente längst weggenagt hat, gilt das Schloss aus dem örtlichen Tuffeaustein noch immer als beeindruckendstes der zahlreichen Loireschlösser. Und sein Tuffeaustein ist einer der Schlüssel zu den hier entstehenden Weinen.
Kaum Regen, kühles Mesoklima und Tuffeaugestein
Rund 200 Kilometer von der Loire-Mündung entfernt, westlich an die Touraine angrenzend liegt das Gebiet von Saumur am südöstlichen Rand des Pariser Beckens. Vor rund 100 Millionen Jahren, im erdgeschichtlichen Zeitalter der Oberkreide bildete sich der poröse Tuffeaustein durch die Sedimentation von Fossilien. Aufgrund ihrer hellen Farbe erwärmen sich die Böden nur langsam in der Sonne. Dafür aber verfügt das Gestein über außergewöhnliche Wasserspeichereigenschaften von bis zu 300 Litern pro Kubikmeter. Dies ist bedeutsam, da im vergleichsweise kühlen, gemäßigt-ozeanischen Mesoklima von Saumur nur geringe Regenmengen fallen, da die Erhebungen von Choletais und Mauges im Westen die feuchte Luft des Atlantiks fernhalten.
Hier werden auf rund 3.800 Hektar vor allem die Rebsorten Chenin Blanc und Cabernet Franc angebaut. Daneben werden noch die roten Rebsorten Cabernet Sauvignon, Grolleau und Pineau d’Aunis - die älteste Loire-Rebsorte - kultiviert.
Saftige Schäumer - Saumur brut und Crémant de Loire
Zudem sind etliche Hektar mit Chardonnay bestockt, der entweder als Verschnittpartner für den saftig-belebenden Saumur brut oder auch sortenrein für den geographisch weniger eng gefassten, dafür aber länger auf der Feinhefe ausgebauten, zumeist kräftigeren und komplexeren Crémant de Loire verwendet wird. Denn Saumur ist das Zentrum der Schaumweinproduktion an der Loire. In Frankreich wird nur in der Champagne mehr Schaumwein produziert als hier. In den kilometerlangen Tunneln, die zur Gewinnung von Baumaterial u.a. für das Schloss von Saumur in den Tuffeaustein gegraben wurden, reifen Abermillionen von Flaschen bei ganzjährig konstanten 12°C. Daneben sind die Tunnel für die Kultivierung von Pilzen prädestiniert, weshalb Saumur überdies eines der Zentren der Champignon-Produktion in Frankreich ist.
Erfrischende Rote - Saumur-Champigny
Die älteste schriftliche Erwähnung des Weinbaus in Saumur datiert auf das Jahr 515 n. Chr. Eine erste Blüte erreichte der Weinbau in Folge der Gründung der Abtei von Fontevraud, der größten Klosteranlage Europas, im Jahr 1101. Um was für Weine es sich dabei handelte, können wir nicht mit Sicherheit sagen. Dafür aber lässt sich zweifelsfrei konstatieren, dass das größte Renomee der heutzutage in Saumur produzierten Weine den unter der Appellationsbezeichnung Saumur-Champigny vermarkteten Rotweinen aus der Rebsorte Cabernet Franc zuteil wird.
Bild von Winzern bei der Arbeit vor dem Schloss von Saumur im Stundenbuch Très Riches Heures des Herzogs von Berry
Der Name Champigny stammt vom lateinischen „campus igni“ - Feuerfeld - und verweist auf die erwähnten, geringen Niederschlagsmengen in der Gegend. Auf 1.600 Hektar am linken Loireufer zwischen dem Städtchen Saumur und St-Cyr-en-Bourg im Süden produzieren rund 100 Winzer in neun Gemeinden jene Rotweine, die als erfrischendste Ausdrucksform der Rebsorte Cabernet Franc gelten. Ein Großteil davon arbeitet nach biologischen oder biodynamischen Richtlinien.
Noch vor ein, zwei Jahrzenten reiften die Beeren nur selten vollständig aus. Die dünnen, grasigen Weine wurden zumeist chaptalisiert und die unreifen Aromen mit einem überbordenden Einsatz von neuem Holz maskiert, bevor sie in den Pariser Bistros landeten. Doch die Klimaerwärmung kommt den Weinen zugute – heutzutage reifen die Trauben verlässlich aus. Durch rigorose Ertragsreduzierung, penibler Bodenarbeit, intelligentem Laubmanagement und dem äußerst behutsamen Einsatz von neuem Holz spielen die Weine aus Saumur-Champigny längst in der Champions League der Rotweine mit. Und das zu Preisen, die weit unter denen der Bordeaux-Weine vergleichbarer Güte liegen.
Da das Mesoklima in Saumur-Champigny trotz des Klimawandels deutlich kühler als im östlich angrenzenden Chinon ist, geraten die Weine merklich frischer als dort. Die Alkoholgrade sind moderat. Die Weine verfügen über eine ausgeprägte Beerenfrucht, packende Kräuterwürze und eine beeindruckende Finesse. Ihr Reifepotential liegt je nach Ausbauart und Alter der Rebstöcke zwischen fünf und 20 Jahren. Die feinsten Weine wachsen etwas abseits der Loire zwischen Varrains und St-Cyr-en Bourg, wo die Böden sandiger geraten und eine gelbe Färbung annehmen.
Mineralische Weißweine - Saumur blanc
Daneben wird auf knapp 400 Hektar in 38 Gemeinden die kapriziöse Rebsorte Chenin Blanc angebaut, deren Weine unter der Bezeichnung Saumur blanc in den Handel kommen. Die kristallinen, mineralischen Weine verfügen über reife, gelbe, oftmals eingekochte Fruchtnoten, ein zart-kalkiges Mundgefühl und hohe Säurewerte. Sie haben nicht die Opulenz der Weine aus dem westlich gelegenen Savennières, sondern präsentieren sich filigraner. Und sie haben ausgeprägte Aromen von weißen Blüten. Womit wir – neben Wein und Champignons - beim dritten bedeutenden Erzeugnis von Saumur angelangt wären: Rund 40 Prozent der französischen Rosenstöcke stammen von hier.