Côtes du Marmandais
Joseph Lakanal (1762-1845) war ein entscheidungsfreudiger Mensch. Der überzeugte Republikaner und Abgeordnete der Nationalversammlung reformierte das französische Schulwesen, errichtete die erste Telegraphenleitung und wurde 1793 im Zuge der französischen Revolution in das Département Gironde geschickt - dessen Hauptstadt schon damals Bordeaux war -, um dort die Spuren des Adels zu beseitigen.
Die Region lebte seit dem Mittelalter vom unbändigen Durst der Engländer. Im 17. Jahrhundert kamen die Niederländer, die Hanseaten und die Bretonen als Abnehmer hinzu. Und um den Nachschub für die wachsende Nachfrage zu garantieren, griffen die Bordelaiser Händler auf Weine aus dem französischen Inland zurück, die sie verschnitten und als Bordeauxwein verkauften – bis Joseph Lakanal kurzerhand entschied, dass künftig nur noch Wein aus dem Département Gironde als solcher zu deklarieren sei. Damit verloren die Weine im Südwesten Frankreichs einen wichtigen Absatzmarkt.
Dies betraf auch das Gebiet der heutige Appellation Côtes du Marmandais, die – geologisch gesprochen – eine Verlängerung des linksufrigen Graves und des rechtsufrigen Entre-deux-Mers ist, aber – geographisch gesprochen – eben nur an das Bordelais angrenzt. Über diese Appellation finden sich in dem umfangreichen Weinatlas von Hugh Johnson gerade einmal zwei Sätze: „Die Côtes du Marmandais hat der lokale Winzer Elian da Ros revolutioniert. Die hier üblichen Bordeaux-Mischungen werden mit der Abouriou-Traube gewürzt.“ Wenngleich vollkommen richtig, verdient die Appellation einige charakterisierende Worte mehr.
Auch wenn das Gebiet um das namensstiftende Städtchen Marmandais stärkeren kontinentalen Einflüssen als das Bordelais ausgesetzt ist, werden die klimatischen Bedingungen hauptsächlich vom rund 100 Kilometer entfernten Atlantik im Westen beeinflusst. Warme Sommer und kalte Winter werden von Regenfällen im ganzen Jahresverlauf ergänzt.
Die lehmigen und kalkhaltigen Böden am rechten Ufer der Gironde bieten sich insbesondere für den Anbau von Merlot, Abouriou und Malbec an. Die kiesigen, durchlässigen Böden am linken Ufer empfehlen sich vor allem für Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon, Syrah, Sauvignon Blanc, sowie Sauvignon Gris und Muscadelle.
War die Gegend vor rund 40 Jahren vor allem für ihre ausgezeichneten Tomaten bekannt, hat die Qualität der aromatischen Weine seitdem kontinuierlich zugenommen, weshalb dem Gebiet 1990 die eigene AOC-Appellation zuerkannt wurde. Und auch wenn seitdem immer neue ambitionierte Winzer die Bühne betreten, müssen wir Hugh Johnson schlussendlich zustimmen: Die Weine von Elian da Ros überstrahlen alle anderen in Schönheit, Dichte, Komplexität, Eleganz und Länge. Und sie sind weit mehr als Bordeaux-Weine zweiter Klasse.